Würden Sie lieber für ein Unternehmen arbeiten, das
mit seinen Produkten Gewinn machen möchte, oder für eines, das mit seinem
Wirken die Welt verbessern will? Viele haben sich diese Frage vielleicht noch
nicht gestellt oder möchten sie auch nicht stellen. In den letzten Jahren
jedoch ist diese Frage stark in den Vordergrund gerückt – so stark, dass
deutsche Konzernvorstände darüber auf Hauptversammlungen reden (FAZ:
Unternehmen auf Sinnsuche). Dahinter steckt, wie so häufig, ein
Trend aus den USA, wo sogenannte Purpose-Driven Companys aus dem Tech-Bereich
besonders erfolgreich sind. Dazu zählten in ihren Anfangsjahren die damals noch
stark ethisch ausgeprägten Konzerne Google. Facebook und Apple, aber auch die in
jüngerer Vergangenheit schnell erfolgreich gewordenen Start-ups wie Uber, RBnB und
Tesla.
All diese Unternehmen nehmen (oder nahmen) für sich in
Anspruch, die Welt verbessern zu wollen. Warum das deutsche Konzerne betrifft?
Weil sie in direkter Konkurrenz um Top-Talente vor allem im IT-Umfeld stehen.
Diese meist jungen und hochqualifizierten Wissensarbeiter lassen sich kaum allein
mit Geld oder Status motivieren. Denn sie wollen vor allem etwas Sinnvolles tun
– eben die Welt verbessern. Da spielen die in deutschen Konzernen immer noch
üblichen Titel, hierarchischen Abstufungen oder Dienstwagen als Statussymbole
nur noch eine untergeordnete Rolle. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter, die Sinn in
ihrer Tätigkeit sehen, motivierter, engagierter, loyaler und
verantwortungsvoller sind und sich stärker mit ihrer Organisation
identifizieren als solche, die lediglich aus materiellen Motiven arbeiten.
Sinn muss also her – leider ist das nicht so einfach.
Sinn kann nicht gemacht, sondern muss vielmehr von jedem Einzelnen gefunden
werden. Das passiert dann, wenn Sinn als zusammenhängende, bedeutsame
Wahrnehmung erlebt wird, also beispielsweise wenn die eigene Tätigkeit als Teil
eines großen Ganzen mit gemeinsam verfolgten Zielen empfunden wird. Die oben
genannten Tech-Unternehmen haben diese Wahrnehmung vor allem durch eine gezielte
Entwicklung ihrer Unternehmenskultur ermöglicht, die auf Außenstehende aber fast
schon sektenhaft-religiös wirken kann. Zunehmend wird im öffentlichen Diskurs
bezweifelt, dass Google, Facebook und Co. wirklich daran interessiert sind, die
Welt zu verbessern – denn da gibt es doch Investoren, und die haben bekanntlich
nur ein Ziel: die möglichst hohe Verzinsung des eingesetzten Kapitals.
Geht es vielleicht bei diesem neuen Trend nur darum? Ein
Schelm, wer Böses dabei denkt. Mit Sinn ließe sich dann leichter Gewinn machen,
weil Mitarbeiter schneller, länger, motivierter, mit Spaß und im Zweifelsfall
für weniger Geld arbeiten. Deutsche Konzerne wollen mehr Sinn und meinen damit
möglicherweise einen Kulturwandel. Einen Kulturwandel, der über das Ablegen von
Krawatten, das Tragen von Sneakern und die Einrichtung von Lounge-Büros
hinausgeht. Eine sinnvermittelnde Kultur basiert auf Werten, die meist für
etwas Gutes, Erstrebenswertes und Bereicherndes stehen. Vor allem geht es um
ein gelingendes Zusammenspiel von gewünschten mit gelebten und sichtbaren
Werten. Wenn eine hohe emotionale Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen als
Maßstab für sinnvermittelnde Unternehmenskultur gelten würde, dann wären
Studien zufolge nur 15 % der Mitarbeiter in Deutschland nach eigener
Wahrnehmung sinnvoll beschäftigt (Gallup
Engagement-Index 2018).
Dabei gibt es durchaus Beispiele für Organisationen, in
denen dieser Wert bei nahezu 100 % liegt. Und dies nicht bei
Tech-Unternehmen im Silikon Valley, sondern in Deutschland. Bei Vereinen,
Stiftungen, Wohlfahrtsverbänden und anderen Non-Profit-Organisationen engagiert
sich fast die Hälfte der Deutschen ehrenamtlich. Was ist hier anders? Zunächst geht
es hier eindeutig um das Verbessern der Welt – um Gemeinwohlorientierung. Und
die Motivation vieler Menschen, dabei mitzuwirken, speist sich aus den gemeinwohlorientierten
Visionen, Zielen und Strukturen. Das Engagement beruht dann vor allem auf dem Einklang
von selbstbestimmtem Handeln mit eigenen und geteilten Wertvorstellungen.
Diese Organisationen könnten interessante Impulse für
Sinnvermittlung auch in For-Profit-Unternehmen liefern. Das beginnt bei kulturell
und organisatorisch verwurzelten Praktiken wie Teilhabe, gemeinsamer
Aufgabengestaltung und Entscheidungsautonomie und reicht über
Informationsfluss, Transparenz, Unterstützung und Anerkennung bis hin zum intensiven
Dialog mit der Zivilgesellschaft. Auch die brisante Frage, wie
For-Profit-Unternehmen ihren Gewinn erzielen und verwenden sollen, könnte auf
Basis solcher Praktiken geklärt werden, was zu einer nachhaltigeren Motivation
und Sinnhaftigkeit führen kann, als die eher scheinheilig wirkenden Silicon-Valley-Modelle
vermitteln können. Vorstände könnten von ihren Mitarbeitern gewählt werden und
fragen: „Würdet ihr, wenn ihr bereits ein gutes Auskommen hättet, trotzdem bei
uns arbeiten?“.
Utopisch? Sinnstiftende Konzerne, die Gewinn und
Gemeinwohlorientierung miteinander versöhnen? Der große Managementvordenker
Peter F. Drucker jedenfalls sah bereits in den 1980er-Jahren Organisationen mit
Gemeinwohlorientierung als Blaupause moderner Unternehmensformen, die den Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts gewachsen sind. Einer seiner Leitsätze war: „Treat Your
Employees like Volunteers.“
WZ 04/19
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